Wann ist eine Lebensdauerberechnung notwendig
Wenn man eine Finite-Elemente-Berechnung (FEM) durchführt, dann erhält man als Ergebnis u.a. Spannungen und Dehnungen in der Struktur. Die Genauigkeit der Berechnung ist gut und die Abweichungen von der Realität sind – bei richtiger Anwendung der FEM – gering. Die FEM ist daher ein sehr zuverlässiges Werkzeug und sie hilft dem Konstrukteur zu verstehen, wie ein Bauteil belastet wird und wo die kritischen Stellen liegen.
Bei rein statischer Beanspruchung können die berechneten maximalen Spannungen oder Dehnungen mit einem sinnvollen Grenzwert, z.B. der Streckgrenze, verglichen werden. Wegen der Unsicherheiten in den Lastannahmen, der Geometrieabweichungen zwischen Modell und Realität und der Fertigungseinflüsse wird ein Sicherheitsfaktor verwendet und es kann rein statisch bemessen werden.
Eine völlig andere Situation ergibt sich, wenn die Struktur dynamisch, d.h. durch eine zeitveränderliche Last (kann auch durch Temperaturänderung verursacht sein), beansprucht wird. In einem solchen Fall ist nicht mehr der Absolutwert der wirkenden Spannungen entscheidend, sondern vor allem die Schwingweite der Spannungen und deren Häufigkeit.
Die folgende Abbildung soll dies verdeutlichen: Eine Eisenbahnachse wird durch ein aus Achslasten resultierendes Biegemoment beansprucht. Bei ruhender Achse liegt eine rein statische Beanspruchung wie bei einem Biegebalken vor, die sehr einfach berechnet werden kann.
Die Oberseite wird durch Druckspannungen, die Unterseite durch Zugspannungen beansprucht. Bei der rollenden Achse wandern nun die Teilchen von der Druckseite zur Zugseite und die Anzahl dieser Wechsel entspricht der Anzahl der Umdrehungen.
Die Spannungsamplitude, die von einem Werkstoff mit einer großen Zahl ertragen werden kann, ist wesentlich kleiner als die Streckgrenze. Außerdem ist nicht der Absolutwert der Spannung entscheidend, sondern die Schwingamplitude (oder halbe Schwingweite), die aus einer statischen Berechnung nicht ermittelt werden kann.
Das bedeutet auch, dass der Ort des Versagens unter Ermüdung nicht mehr mit dem Ort einer statisch berechneten maximalen Spannung zusammenfallen muss. Eine rein statische Bemessung ist daher nicht geeignet, die Ermüdungserscheinungen physikalisch korrekt zu erfassen.
Bei sehr kleinen Beanspruchungen, die deutlich unterhalb der Dauerfestigkeit liegen, kann ein sogenannter Dauerfestigkeitsnachweis ausreichen, der mit geringem Aufwand durchgeführt werden kann.
Überschreiten die Spannungen ein kritisches Maß, können sie zu einem Riss – meist an der Oberfläche - führen, der sich im Bauteil fortsetzt und die tragende Fläche verringert. Abhängig von der Anzahl der Lastspiele wird die tragende Querschnittsfläche immer kleiner, bis es schließlich – meist bei einer Spitzenbelastung – zu einem plötzlichen Bruch kommt.
Dieser plötzliche Bruch ist charakteristisch für Ermüdungsprobleme und kann zu verheerenden Schäden führen. Es gibt dafür viele Beispiele in der Geschichte der Technik: Ölplattformen, Eisenbahnen, Flugzeuge und Automobile sind davon betroffen.
Der Entdecker dieser Ermüdungsphänomene ist August Wöhler (1819 – 1914), der bei seinen Forschungsarbeiten an Eisenbahnachsen als erster diese Zusammenhänge erkannte.
Die nach ihm benannten Wöhlerlinien sind auch heute noch eine nützliche Grundlage für die Lebensdauerabschätzung.